Bishnoi – das Volk der Tierschützer

Indien-Fans und solche, die es werden wollen, finden in der neuen annabelle und im Dossier auf annabelle.ch jede Menge Lesestoff: Reportagen und Begegnungen aus dem Land des Tigers, Reisetipps, ein Besuch in der Boomstadt Mumbai und Le Corbusiers Planstadt Chandigarh, ein Gespräch mit dem Autor des Indien-Epos “Shantaram” sowie ein modisches Sightseeing in den Metropolen des Landes.

Aus quasi gegebenem Anlass widmet sich auch dieser Blog dem südasiatischen Staat, dem mit einer Fläche von 3 287 590 Quadratkilometern siebtgrössten der Erde.

Denn in diesem aufstrebenden Schwellenland leben die ersten Tier- und Umweltschützer der Welt, die Bishnoi. Dieses Volk, das grösstenteils in der Wüste Thar im Bundesstaat Rajasthan beheimatet ist, geht auf eine vor 500 Jahren gegründete, religiöse Gemeinschft zurück. Bishnoi heisst übersetzt “29″, der Name bezieht sich auf die von Sektengründer Guru Jambheshwar aufgestellten 29 Gebote (29 Rules or Commandments of Bishnoi Community), Diese spirituellen und ökologischen Lebensregeln verlangen von den Bishnoi neben einem respektvollen Umgang miteinander vor allem Mitleid mit allen lebenden Wesen und den Schutz der Natur. Entsprechend verzehren sie weder Fleisch noch Milch, fällen keine Bäume und erachten das Pflanzen von Bäumen als religiöse Pflicht. Der Respekt vor allem Leben geht soweit, dass sie das Kochwasser filtern, um Kleinlebewesen vor dem Tod zu bewahren, Wilderer und Jäger konsequent aus ihren Gebieten vertreiben und die Frauen mutterlose Tiere säugen.

Und wenn es sein muss, opfern sie für den Schutz der Natur ihr Leben. Im Jahr 1730 starben 363 Männer, Frauen und Kinder, als sie sich den Soldaten des Maharajas von Jodhpur in den Weg stellten, die auf Bishnoi-Gebiet Bäume für den Bau eines neuen Palastes fällen wollten. Ihr Todesmut beeindruckte den Maharaja so sehr, dass er seine Männer schliesslich zurück beorderte und ein Dekret erliess, welches das Fällen von Bäumen im Lebensraum der Bishnoi ebenso bei Strafe verbot wie das Töten von Tieren. (Die 1987 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Chipko-Bewegung, deren Mitglieder Bäume mit ihrem Körper vor dem Gefälltwerden schützen, geht übrigens auf die friedliche Art des Widerstandes der Bishnoi zurück.) Dass die Selbstopferung bis heute zum religiösen Selbstverständnis dieses Volkes gehört, sorgte im Oktober 1996 landesweit für Schlagzeilen: Bei dem Versuch, eine Herde Gazellen vor Wilderern zu schützen, wurde Nihal Chand Bishnoi erschossen und damit zum Held des Films “Willing to Sacrifice”, der beim ENVIRON’99-Filmfestival eine Auszeichnung erhielt und so Nihal Chand über Indiens Grenzen hinaus bekannt machte.

Trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des Verzichts, sich die Natur untertan zu machen, gehören die Bishnoi zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Bauernkasten Indiens. Bis heute ist es diesen, auf eine friedfertige Weise radikalen Tier- und Umweltschützern gelungen, ihre traditionelle Lebensweise auch in einer zunehmend globalisierten Welt zu bewahren. Doch immer mehr junge Bishnoi wandern in die Städte ab, während moderne Kommunikationsmittel wie das Handy ihren Weg in die Dörfer gefunden haben, und eine Bishnoi-Homepage einen Platz im World Wide Web. Internet, Chats, E-Groups und MP3 spielen auch eine zentrale Rolle in einem Zehn-Punkte-Programm, das auf dieser Homepage zu finden ist, und mit dem das Überleben dieses Volkes, seiner Werte und Ideale in Zukunft gesichert werden soll. Dem Programm vorangestellt ist jedoch ein Satz aus dem Jahr 1730, er stammt von Amrita Devi, gesagt haben soll sie ihn, bevor sie zum ersten Opfer des Massakers von Khejarli wurde: “Selbst wenn es den eigenen Kopf kostet, einen Baum zu retten – er ist es wert.”

Quelle: http://hnde.annabelle.ch/bishnoi-ein-volk-von-tierschutzern/